Der Weg zu den Skulpturen in Stein und Bronze
Künstlerportrait - Autor: Helmut Pitsch
Der berufliche Werdegang Roland Schrauts vollzog sich in vier Phasen:
Zuerst absolvierte er eine Lehre als Fernmeldetechniker bei Siemens.
Danach jedoch wandte er sich seinem eigentlichen Interesse zu: der bildenden Kunst.
Er besuchte die Werkkunstschule in Würzburg, Abteilung Graphik-Design, und studierte darauf
zehn Semester Malerei und Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf in der
Klasse Professor Joseph Beuys.
Fasziniert von der bewegten Kunst auf Zelluloid und der Aussicht, mit seinen Kreationen
Millionen Zuschauer zu erreichen, begann er ein zweites, vierjähriges Studium an der
Hochschule für Fernsehen und Film in München, mit dem Ziel, Dokumentarfilme herzustellen.
1979 gründete er eine eigene Film-TV-Produktion und wurde seitdem als Kameramann, Regisseur
und Produzent mit namhaften Preisen ausgezeichnet.
Schließlich aber drängte es ihn wieder zum Umgang mit der ursprünglichen, naturalen Materie.
Deshalb betätigt er sich seither mit neuem Elan mehr und mehr als Bildhauer, inspiriert durch
Exkursionen zu archäologischen Grabungen, die er mit der Filmkamera dokumentierte, sowie durch
sein schon immer ausgeprägtes Interesse für die Bildkunst archaischer oder primitiver Kulturen.
Roland Schraut gestaltet nur Köpfe; denn das Gesicht stellt für ihn den wichtigsten,
markantesten Körperteil dar, und das schon in seinen frühen, expressionistisch gemalten
Porträts. In den Gesichtern erscheint der Geist, das Wesen des Menschen- oder Tierbildes.
Trotzdem belässt er dem Material, soweit möglich, seine Natur. Durch die Bearbeitung
verstärkt er nur eine in der Form des Steines implizit bereits angedeutete Gestalt und lässt
sie so sichtbar werden.
Seine Steine sucht und findet er im Steinbruch oder im ausgetrockneten Flussbett,
vorzugsweise im Tessin oder auf der schon in der Antike wegen ihres leuchtend weißen
Marmors berühmten Insel Paros.
Sobald er im Stein einen Kopf oder ein Gesicht erkennt, entfernt er zum großen Teil die
korrodierte, äußere Schicht und schlägt den Block in grobem Umriss zu, um ihn dann nach
alter Manier im Atelier zu bearbeiten, bis die eigentliche Struktur des Steines zum Vorschein
kommt. Dadurch erst offenbart sich der Stein in seiner Vielfalt, von der durch Verwitterung
entstandenen Kruste bis zum feinen, oft marmorierten inneren Kern. Er öffnet damit
gewissermaßen die Seele des Steines, die als Metapher für die Seele des Menschen
gelten kann. So lässt er unter der Kruste, gleichsam dem Transpersonalen, den Stein
in seiner Eigenart oder das Dargestellte als Individuum sichtbar werden.
Schraut geht aber noch einen Schritt weiter, indem er in dem steinernen Bild jede
Ähnlichkeit mit einer konkreten Person vermeidet. Er begreift vielmehr den Kern des
Steines selbst als das Individuelle, als sein Wesen. Gezeigt werden soll kein imitiertes
organisches Porträt, sondern die in Stein umgesetzte, zugrunde liegende Struktur eines
Gesichtes, reduziert auf das Wesentliche, den Ausdruck von Kraft und Magie,
wie in totemistischen Herrscherdarstellungen primitiver Volksstämme. Dazu gehört
auch sexuelle Symbolik, die in einigen seiner Skulpturen verborgen enthalten ist.
Oft haben seine Köpfe zwei Gesichter, entweder janusartig oder als zwei verschiedene
Hälften, eine grobe und eine feine, eine wache und eine träumerische, entsprechend dem
Gehirn des Menschen, das auch aus zwei Hälften mit verschiedenen Funktionen besteht.
Einige seiner Köpfe stellen Totenköpfe dar. Damit beabsichtigt er jedoch kein Spiel mit
dem Todesgedanken, nach Art der Darstellungen in der Barockzeit. Gemeint ist eine
Reduktion auf das Minimum des Wesens, auf das, was nach Abzug alles Zufälligen, vom
Kern eines Individuums übrig bleibt, nämlich das, was der ganzen Schöpfung gemeinsam ist,
gewissermaßen eine allgemeine Idee, noch hinter dem Wesen oder gar dem Typischen.
Seine Intention richtet sich darauf, den überall erlebbaren Verfall in eine Form zu bannen,
abstrahiert auf die innere Form eines Gesichtes unter der Oberfläche, in der zugrunde
liegenden Struktur. Als Kern jedes Individuums bleibt der Schädel, der letzte, nicht mehr
individuelle, transpersonale Ausdruck im Zerfall: das Archetypische.
Die Reduktion bezieht sich aber nicht nur auf den Zerfall, sondern auch auf den
Embryonalzustand der Genese. So findet sich zumindest in einem seiner janushaften
Gesichter einerseits das beginnende Verwesen, zum anderen das Entstehen aus der
Urform, das Noch-Nicht aus dem Ursprung und das Nicht-Mehr der Reliquien.
Sie wirken wie manche jahrtausend alte Funde aus archäologischen Grabungen.
Dem entsprechend scheinen einige der Menschen- oder Tierköpfe gerade erst aus der
Materie herauszuwachsen, andere haben den Verwesungsprozess bereits hinter sich.
Auf diese Weise ist im Gesamt der Exponate über das Gegenständliche hinaus zugleich
die Zeitdimension eingefangen, von der Urzeit bis in die Gegenwart und über sie hinaus.
In neuerer Zeit kam Roland Schraut über Bronze-Abgüsse zu einer anderen bildnerischen
Technik, nämlich, aus Wachsplatten maskenartige Gesichter und helmartige, zum Teil
wiederum doppelgesichtige Gebilde herzustellen, die als verlorene Form für reliefartige
Bronzeplastiken dienten. Auch hierbei hat er sich, wie die Expressionisten, anregen lassen
von rituellen Figuren und Masken animistischer Naturvölker Afrikas und Ozeaniens.
Andererseits erinnern diese Reliefs aber auch an die Maskeraden der schwäbisch-
alemannischen Fasenet oder des bayrischen Perchtenlaufes. Masken verbergen,
schützen wie Helme das Individuum und zeigen, wie der Kern der Plastiken,
etwas Typisches, Transpersonales.
Solche rustikalen oder burlesken Masken, die ihren Ursprung ebenfalls in alten heidnischen
Riten haben, sind grotesk, zeigen wie Karikaturen einerseits das eigentliche, oft ambivalente
und daher zwiegesichtige, atavistische Wesen, verbergen aber zugleich das Individuum.
Sie sind daher transpersonal und typisch, aber meist auch makaber, da keine Hülle sie
verschönt. Die Bronzemasken Schrauts sehen in ihrer zerfetzten Form aus wie Zombies.
Der Prozess des Durchdringens zum Wesenskern hat immer etwas Schmerzhaftes, bewegt
sich in einer Grenzsituation, oder sogar an der Schwelle des Todes. So ’töteten’ die Alten
Ägypter Statuen, indem sie ihnen Nase und Ohren abschlugen, die Essentien ihrer
individuellen Existenz, aber auch des unverwechselbaren Charakters der Persönlichkeit
im Porträt.
In den Skulpturen bringt Schraut dieselbe Intention zum Ausdruck wie in den meisten seiner
dokumentarischen Porträtfilme. Darin zeigt er Menschen, die in einer Lebenskrise,
im psychischen Absturz, oder am Rande des Todes über das Ich hinaus zum eigentlichen
Wesenskern durchzubrechen versuchen, zu dem, was jenseits ihrer Individualität übrig
bleibt als eigentlicher Wesenskern: die elementaren Gefühle, Erkenntnisse oder Tätigkeiten,
als Ergebnis dessen, was befreit vom Gefangensein im Alltäglichen wirklich wichtig ist.
Diese Lebenshaltung entspricht auch dem Charakter des Künstlers:
Ausloten der eigenen Möglichkeiten. Erlebnis- und Lebensdrang. Bestreben, das Leben
möglichst synchron in seiner ganzen Fülle und Ambivalenz zu erfassen. Dem entspricht
seine Risikobereitschaft, schnelle Entschlussfähigkeit, sowie strikte Verfolgung
und unmittelbare Umsetzung einmal gefasster Pläne.